Die Idee mit den abgetragenen Schuhen hatte es mir angetan. Eine Freundin hatte sie dagelassen, nachdem sich bei einem Spaziergang die Sohlen endgültig gelöst hatten. Da standen sie nun also, verloren und einsam, im Eingang. Ich erinnerte mich dabei an ein eigenes Paar, das ich in Russland zurückgelassen hatte. Im Grunde ein sehr romantischer Gedanke: Gehe soweit, wie deine Schuhe dich tragen. Damals, als ich mein eigenes Paar Schuhe in Russland an den Gartenzaun hängte, hatte ich meine Kiev 88 nicht dabei.

Kiev 88 – die „Hasselbladsky“ aus Kiev

Und so entstand die Idee, das Schuhpaar mit einem besonderen Portrait zu verewigen und damit auch den Besuch unserer Freundin aus Israel. Also nahm ich das Paar, brachte es im Garten auf der ausgedienten Couch in Position, maß sorgfältig das Licht mit Spot auf die Mitteltöne und brachte meine gute Kiev 88 in Stellung. Denn Lichtschutz aus dem Filmmagazin gezogen, die Einstellungen vom Belichtungsmesser auf die Kamera übertragen und – Klick!

Voller Vorfreude entwickelte ich den Film. Mittelformat ist mein Lieblingsformat. Als ich dann aber den Film nach dem Schlusswässern aufhängen wollte, der Schreck – in der unteren linken Ecke ein dunkler Winkel. Bei einem Schwarz-Weiß-Negativfilm heißt das: Light Leak – Licht ist von irgendwoher in das Kameragehäuse eingedrungen. Die Bilder also ruiniert (zumindest in diesem Bildbereich). Und die Kamera – die Kiev 88 ist mein absoluter Liebling – so nicht mehr brauchbar.

Kiev 88 – eine vollmechanische SLR-Mittelformatkamera

Die Bezeichnung „Kiev 88“ ist die Exportversion der äußerst robusten Salyut-S aus den Kiever Arsenal-Werken. Genauer genommen hat die Kiev 88 zusätzlich einen Hotshoe für ein Blitzgerät. Das fehlt der Salyut-S. Ehrlicherweise handelt es sich dabei um die sowjetische Kopie der damaligen Hasselblad, weshalb sie unter Fotografen auch gern mal einfach „Hasselbladsky“ genannt wird.

Im Grunde ist die Kiev 88 eine grundsolide, preisgünstige vollmechanische SLR-Mittelformatkamera. Gerade im Kamerabereich war die Sowjetunion eine begnadete Kopierstation. Angefangen von der ersten Leica, die zur Zorki 1 wurde, bis zur Kiev 88 als russische Antwort auf die Hasselblad 1600F. Einziger Haken bei allen sowjetischen Kameras war die im Vergleich zu ihren westlichen Pendants geradezu horrende Fertigungstoleranz, also Toleranzen im Genauigkeitsbereich. Das führte zu extremen Qualitätsschwankungen selbst innerhalb einer Serie. Währen eine Kamera also bereits fabriksneu reif für den Schrott war, konnte gleich das nächste Gerät am Fließband eine echte Göttin über das Licht sein. Das sollte man beim Kauf immer bedenken: ohne eine Rolle 120er-Film als Test zu belichten, sollte man nur von wirklich vertrauenswürdigen Händlern kaufen. Ebay ist tabu, außer man kennt den Verkäufer und hat die Möglichkeit zur Rückgabe.

Die Suche nach dem Licht

Kiev 88 - preisgünstige vollautomatische SLR-Mittelformatkamera. Im Bild ein gigantisches Light Leak, ein ungewollter Lichteinfall in das Kameragehäuse.
Auch wenn es dem Foto der Kiev 88 einen gewissen Reiz verschafft – so ein gewaltiges Light Leak macht jede Kamera unbrauchbar.

Ich hatte aber das Glück, direkt in Kiev eine wunderbare und hervorragend arbeitende Kiev 88 zu erwerben, direkt bei ehemaligen Mitarbeitern der mittlerweile stillgelegten Arsenal-Werke. Aber die gemeinsamen Jahre hatten eben Spuren an der Kamera hinterlassen. Hat sie mich doch über lange Jahre in Russland, Österreich, Ungarn, Italien, Israel und auch Deutschland immer treu durch minus 35 Grad im russischen Winter bis 45 Grad im israelischen Negev begleitet. Nun war es eben passiert. Irgendwo hatte ich ein Leck.

Kiev 88. Film: Rollei Crossbird 200, Cross Processed.
Deutlich zu erkennen: Das Light Leak in der linken unteren Ecke.

Wie findet man also so ein Light Leak, den ungewollten Einfall von Licht durch eine undichte Stelle im Kameragehäuse? Gerade bei einer Mittelformatkamera wie der Kiev 88 ist die Zahl der möglichen Stellen wesentlich größer als bei den kleineren 35mm-Kameras. Wo also mit der Such beginnen?

Der Taschenlampentrick

Die Größe der Kamera hilft dabei. Sobald man ausschließen kann, dass das Objektiv selbst der Ort ist, an dem ungewollt Licht in das Innere fällt, kann man das Gehäuse inklusive Filmkassette mit einem ganz einfachen Trick testen.

Zuerst nimmt man die Lichtschutzplatte aus der Filmkassette. Man will diese ja mittesten (sie ist auch der wahrscheinlichste Ort). Dann schraubt man das Objektiv ab. Vorsicht, nicht den Spiegel beschädigen! Die Belichtungszeit stellt man auf „B“ für Bulb. Danach den Auslöser drücken und den Knopf feststellen, sodass der Spiegel permanent hochgeklappt bleibt. Nun die Kamera in einen vollkommen abgedunkelten Raum bringen und mit einer Taschenlampe sorgfältig in alle Ecken des Kamerainneren leuchten – dabei immer aufpassen, dass der Spiegel nicht berührt wird. Arbeitet man sich so Ecke für Ecke durch das Gehäuse, sollte man recht schnell etwaigen Lichtschimmer an der Außenseite bemerken.

Die Filmkassette als Übeltäter

In den meisten Fällen ist die hinten an der Kamera angebrachte Wechselfilmkassette die Verursacherin von Light Leaks. Die Verbindung zur Kamera kann undicht geworden sein, Legion ist auch ein allmählicher Verschleiß der Lichtdichtung am Einschub der metallenen Lichtschutzplatte, die den Film beim Abnehmen der Wechselkassette vor Licht schützt. Und letzere war es auch in meinem Fall.

Glück im Unglück, denn das Erneuern der Lichtdichtung an dieser Stelle ist nicht schwer und kann auch vom geübten Laien erledigt werden. Alternativ gibt man die Kassette zum Händler oder kauft sich für relativ wenig Geld gleich eine neue.

Alles gut, Kiev 88

Kiev 88. Film: Foma Retropan 320. Das Problem mit dem Light Leak wude gelöst.
Kiev 88. Film: Foma Retropan 320. Das Problem mit dem Light Leak wude gelöst.

Sobald die Dichtung erneuert war, ging es wieder ans Testen. Die Taschenlampe zeigte keine Wirkung, also Film rein und los. Den Kater als unfreiwilliges Opfer auserkoren, den Film schnell entwickelt und – Hurra! Keine Spur mehr vom bösen Light Leak.

Und so blicken ich und meine geliebte Kiev 88 wieder neuen, aufregenden Zeiten entgegen. Denn wir haben da schon wieder so eine Idee mit den Schuhen. Ganz fertig sind wir beide mit ihnen noch nicht. Dafür sind sie zu weit gewandert, um zu uns zu kommen. Ehre, wem Ehre gebührt: Der altehrwürdigen Kiev 88 und dem aufgelösten Paar Schuhe!


Zum Ansehen

Hier noch ein paar Beispiele für Fotos, die mit der Kiev 88 gemacht wurden:

Fotogalerie auf www.filmphotography.at